Meditationsgegenstand allgemein und der Atem im Speziellen

Foto: Kurt Fegers, Viersen

Wer zu meditieren beginnt, braucht zu 99,9 % eine Hilfe, einen Meditationsgegenstand, um den unruhigen Geist zu ankern, die Aufmerksamkeit zu bündeln und immer und immer wieder die Aufmerksamkeit auf den Meditationsgegenstand zurückzuführen, zurückzuholen. Der unruhige Geist, der monkey-mind, präsentiert uns wieder und wieder Geschichten über Geschichten, fängt unsere Aufmerksamkeit regelrecht ein, verstrickt uns in Geschichten. Sprich, er tut alles, damit wir nicht in den Raum zwischen den Gedanken eintauchen können. Und der Raum zwischen den Gedanken ist der Raum, der uns klarsehen lässt, festgefahrene Gedankenmuster offenlegt und Täuschungen zu erkennen gibt.

Meditationsgegenstand kann sein:
Der Atem
Ein Mantra
Klang
Eine Gebetskette (Mala)
Das Gehen (Geh-Meditation)
Ein Gedanke
Ein Bild
Ein Gefühl
Die Natur (Sonnenuntergang, eine Blume, eine Landschaft, …)
u.v.a.m.

Alles ‚Krücken‘ für eine Übergangszeit. Krücken, die wir irgendwann, mit fortschreitender Meditationspraxis, fallen lassen.

Schauen wir uns den Atem im Yoga an:

Im Yoga verbinden wir das Einatmen mit Kraftschöpfen, bei der Ausatmung lassen wir los – körperlich wie psychisch.

Oft verbinden wir das Ausatmen auch mit dem Loslassen der Themen, die uns tagsüber beschäftigt haben (Gespräche, Projekte, negative Gedanken, …) und die wir loswerden möchten, um in die ENTspannung zu kommen.
Zu viele Gedanken, zu viel Grübeln, Ärger – all das ist Energie, Hitze. Negative Energie! Und auch die lassen wir über die Ausatmung raus.

Schauen wir uns den Atem in der Meditation an:

In der Meditation kann die Ausatmung aber auch eine ganz andere Qualität annehmen.  Vor vielen Jahren fiel mir eine Weisheit von Lama Govinda in die Hände, die mich heute immer noch begleitet und auch immer wieder auf’s Neue bereichert. Mal denke ich monatelang nicht mehr daran und dann kommen die Worte wieder hoch. Und genau das passierte mir jetzt, nach längerer Zeit mal wieder,  im Rahmen unserer „Gleichklang“-30 Tages-Meditation. Und da wir uns in dieser aktuell bedauerlicherweise kontaktlosen Zeit über die Meditation jeden Abend bewusst miteinander, untereinander verbinden, und diese Weisheit in unserer Meditation erfreulicherweise wieder in mir hochkam, möchte ich die Zeilen jetzt mit Euch teilen:

LEBENSRHYTHMUS
Dreifach ist des Lebens Rhythmus-

nehmend,
gebend,
selbstversunken:

Einatmend nehm‘ ich die Welt in mir auf,
Ausatmend gebe der Welt ich mich hin,
Leergeworden leb‘ ich mich selbst –
lebe
entselbstet
und öffne mich neu.

Einatmend nehm‘ ich die Welt in mir auf,
Ausatmend gebe der Welt ich mich hin,
Entleert erleb‘ ich die Fülle
Entformt erfüll‘ ich die Form.

(Lama Anagarika Govinda)

Hier hat der Atem nicht die Qualität, etwas Belastendes, Negatives loszulassen, rauszulassen, loszuwerden, sondern der Welt etwas zu geben, etwas in die Welt hinein zu geben.
Was auch unseren „Gleichklang“-Gedanken stützt: Wir sind alle miteinander verbunden. Wir stehen mit allem in Verbindung, was lebt. Und das spüren wir am ehesten über den Atem. Wir alle nutzen die gleiche Atemquelle.

Im Augenblick dieser Erfahrung, dass wir mit allem, was lebt, in Verbindung stehen, löst sich unsere Begrenztheit, lösen sich Ängste, Hemmungen, Probleme auf. Nicht für immer, leider nein, aber für den Moment dieser Erfahrung. Und diese Erfahrung können wir ausweiten. Durch die Meditation.

Wenn ich eine Phase der Kraft, der Energie habe, dann kann ich etwas davon über die Ausatmung in die Welt geben. Wenn ich in einem Moment voll der Zuneigung für einen Menschen oder ein Tier oder die Liebe zum Leben bin, dann kann ich in der Meditation über die Ausatmung etwas davon zurückgeben.
Wenn ich einatme, nehme ich mir etwas Positives (Kraft, Energie, …), vielleicht aber auch etwas Negatives. Etwas Negatives, weil ein Mensch in meiner Umgebung oder irgendwo auf der Welt trauert und ich etwas davon mittragen möchte.

Happy Abtauchen in den Raum zwischen den Gedanken.

Herzensgrüße.
Happy Gleichklang!
Eure Ute