Asana-Detailarbeit: Natarajasana, der Tänzer

Quelle Foto: Leslie Kaminoff, ‚Yoga Anatomie‘, Seite 62

Bei Natarajasana handelt es sich um eine anspruchsvolle Standhaltung, die gleichzeitig auch Gleichgewichtshaltung auf einem Bein ist und dazu noch eine Rückbeuge beinhaltet. Dieses Asana entstammt den 108 Tanzhaltungen des Gottes Shiva. Bestimmt hat jede(r) von Euch schon einmal die Statue aus Messing oder Bronze gesehen, in der eine Gottheit auf einem Bein in einem Feuerring tanzt. DAS ist Shiva. Nataraja ist ein Name von Shiva. Tänzer auf Sanskrit ist Nata. Raja heisst übersetzt König. Shiva ist somit auch der Gott des Tanzes. Der Tänzer ist eine Erscheinungsform des Gottes Shiva.

Wenn Ihr diese anmutige Haltung einmal für Euch entdeckt habt, dann werdet Ihr Euch im tanzenden Shiva sehr kraftvoll und stabil fühlen. Und wenn Ihr den Tänzer bis heute noch nicht für Euch entdeckt habt, dann motiviert Euch vielleicht mein Text.

Im Hinduismus ist Shiva Teil der göttlichen Trinität (= Dreiheit), die er mit Brahma, dem Schöpfergott, und Vishnu bildet. Als Schöpfergott steht Brahma für das Entstehen, Vishnu steht für das Bestehen und Shiva für das Vergehen. Oft wird Shiva auch als Gott der Zerstörung dargestellt.

Zehn gute Gründe, diese Haltung in die eigene Yoga-Praxis zu integrieren:

Natarajasana –
trainiert den Gleichgewichtssinn
bringt mehr Gleichgewicht in unser Leben
aktiviert, regt den Kreislauf an
macht stabil – körperlich und geistig
kräftigt die Fußgelenke
dehnt den Bauch
dehnt, öffnet die Leisten
dehnt die Vorderseiten der Oberschenkel
öffnet den Brustraum und somit den Herzraum
macht uns klarer und zielsicherer.

Bin ich unruhig, zerstreut, gefangen in Gedanken und unkonzentriert, dann funktionieren Gleichgewichtshaltungen schlecht bis garnicht. Muskelkraft alleine lässt mich nicht auf einem Bein stehen.
Wir lernen von Gleichgewichtshaltungen klar und wachsam im Außen zu sein und trotdem in uns zu ruhen.  
Im Yoga sagt man Gleichgewichtshaltungen nach, dass sie uns gegen die Stürme des Lebens wappnen. Wenn wir stabil in einer Gleichgewichtshaltung stehen können, dann stehen wir auch stabiler, fester, sicherer im Leben.
Das heißt aber auch, wenn wir eine instabile Lebensphase haben, können wir uns über die Praxis von Gleichgewichtshaltungen wieder stabilisieren. Das macht doch Mut, oder???!!!

Was mir immer mal wieder auffällt ist, dass versucht wird, die Rückbeuge im Tänzer aus der Lendenwirbelsäule heraus entstehen zu lassen. Eine Rückbeuge kommt aus der Brustwirbelsäule. Das grade Becken ist eine Voraussetzung.  Schambein in Richtung Bauchnabel ziehen. Und schön das Brustbein heben!

Auch spüre ich oft eine Art Scheu, das angewinkelte Bein nach hinten oben zu öffnen. Der Mensch sieht es als große Herausforderung, sich in eine Richtung zu bewegen, in die er nicht schauen kann. Nach vorne zu schauen und einen Teil des Körpers nach hinten zu öffnen, hat für manchen Menschen etwas von Ungewissheit.
Hier ein kleiner Tipp, wie Ihr das Gefühl von Öffnung des angewinkelten Beines einmal spüren könnt und immer noch die Kontrolle habt:
Ihr legt einen Gurt, einen Gürtel, ein Kofferband, was auch immer, um einen Fuß, den Rest des Gurtes über die andere Schulter legen und dann mit einer oder beiden Händen den Gurt hochziehen. Somit bewegt sich das angewinkelte Bein höher und öffnet sich. Und wenn Ihr dieses Gefühl einmal verinnerlicht habt, lasst Ihr die ‚Krücke‘ wieder fallen. Und hoffentlich fällt dann auch das Gefühl, sich in eine Art Ungewissheit zu bewegen.

Schwächen im Gleichgewicht sind übrigens kein Grund, diese Haltung nicht zu praktizieren. Es wäre schade, auf all die tollen Wirkungen zu verzichten, nur weil der Gleichgewichtssinn ’schwächelt‘. Dann ist die Nähe zu einer Wand, oder Arbeitsplatte, oder zu einem Vorsprung angesagt. Stellt Euch sicher, lehnt Euch erstmal mit der Hüfte des Standbeines an, wenn Ihr ‚kibbelt‘.

Eingangs habe ich geschrieben, dass es sich bei dem Tänzer um eine anspruchsvolle, also komplexe Haltung, handelt. Gleichsgewichtshaltungen brauchen ein gutes Körpergefühl und eine gute innere Haltung. Im Yoga ist immer alles mit einer inneren Haltung, mit einer Art Hingabe, verbunden. Ist es das nicht, ist es Gymnastik.

Stufen, in die Haltung zu kommen:
Praktiziere erst einmal einige vorbereitende Übungen, in denen Du die Wirbelsäule flexibilisierst, die Schultern dehnst, die Leisten öffnest, die Oberschenkel dehnst. Auch eine einfache Gleichgewichtshaltung vorab hilft, diese komplexe Gleichgewichtshaltung besser, sicherer, länger zu halten.

Stand, Füße sind fußbreit geöffnet
Schicke eine verlängerte Ausatmung in die Fußsohlen
Verlagere das Gewicht auf den linken Fuß
Rechte Hand greift den rechten Fuß
Zieh die Ferse ans Gesäß
Kniehaltung ist geschlossen, Knie sind in einer Linie
Rolle den linken Zeigefinger gegen die Daumenwurzel ein
Führe den linken Arm über Deine Körperachse in die Senkrechte
Führe den Arm weiter nach hinten
Entspanne die Schulter nach hinten unten
Schiebe die rechte Ferse immer weiter vom Gesäß weg
Öffne das angwinkelte Bein nach hinten und nach oben
Die Rückbeuge, in der Du bist, ist aus der Brustwirbelsäule entstanden!

Den Oberkörper möglichst wenig nach vorne beugen!

Bleibe nur so lange in dieser Haltung, wie Du diese auch wieder langsam, in kleinen Schritten, auflösen kannst.

Lass die andere Seite folgen.

Ausgleich nicht vergessen! – Zum Beispiel die Vorbeuge aus dem Stand + Hund.

Ganz wichtig im Yoga und besonders in komplexen Haltungen, wie dem Tänzer:
Sei ehrlich mit Dir!
Spüre Deine Grenzen!
Respektiere Deine Grenzen!
Geh nicht so weit in die Haltung, bis es schmerzt.
Und denke nicht, dass der Kursnachbar Dir zuschaut und Du von daher über Deinen Grenzen gehen musst.

Ich wünsche Euch ganz viel Freude mit dieser tollen Haltung.

Herzensgrüße.
Eure Ute